Nach 22 Jahren hatte sich erstmals wieder eine Uhu-Paar in der Region von St-Léonard niedergelassen. Doch Ende Januar wurde das Männchen tot unter einer Stromleitung der Bahnlinie zwischen Sierre und Sion gefunden. Es war von einem Stromschlag getroffen worden. Naturschützer verlangen nun vom Kanton, von den Elektrizitätsgesellschaften und von den SBB eine rasche Sanierung aller gefährlichen Strommasten.

Der Uhu ist im Wallis sehr selten geworden. Während der nachtaktive Greifvogel in den 1960- bis 1970er-Jahren praktisch ausgestorben war, zählt man heute im ganzen Kanton weniger als zehn Brutpaare. Ein Paar hatte sich in den 1980er-Jahre in der Region St-Léonard niedergelassen, aber die beiden Vögel wurden 1996 durch einen Stromschlag an einer Leitung getötet. Seither gab es keine Anzeichen von Uhus in dieser Region – bis letzten Herbst.
Seit 22 Jahren warte ich auf die Rückkehr der Uhus in diesem Gebiet! Letztes Jahr gab es erste Hinweise für seine Präsenz und Anfang Januar konnte bestätigt werden, dass sich ein Paar Anfang Januar in einer nahen Schlucht angesiedelt hat. Und nun wurde das Männchen des neuen Paars (2017 geboren, was an seiner Federzeichnung erkenntlich ist) tot aufgefunden! Es wurde neben dem Bahnhof St-Léonard von einem Stromschlag getroffen. Ich habe den Platz, den das Paar in der Schlucht auserwählt hat, am Sonntagmorgen kontrollieren, doch die Uhus waren weg!. Das ist sehr traurig, aber es gibt leider viele Uhus, die im Rhonetal durch Stromschläge getötet werden, sodass ich ein wenig fatalistisch geworden bin.
Raphaël Arlettaz, Professor an der Universität Bern
Seit den 1990er-Jahren schwankt die Uhu-Population im Wallis und im Waadtländer Chablais stets auf tiefem Niveau. Um die Ursachen dafür besser zu verstehen, führte die Universität Bern unter der Leitung von Raphaël Arlettaz ab dem Jahr 2000 ein grosses Forschungsprojekt durch. Mehrere Duzend junge Uhus wurden mit einem Sattelitensender versehen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Stromschläge sind für die Uhus die Todesursache Nummer 1, weit vor Kollisionen mit Kabeln, Fahrzeugen und Zügen. Die Studie machte deutlich, wie wichtig die Sanierung von gefährlichen Strommasten für das Überleben der grossen Beutegreifervögel in der Rhoneebene ist!
Aufgrund der Studienresultate erstellte das Team der Walliser Aussenstelle der Schweizerischen Vogelwarte Sempach ein Inventar der problematischen Strommasten. Mehr als 1500 Strommasten, bei denen für Vögel ein Stromschlagrisiko besteht, wurden dokumentiert und den öffentlichen Diensten und Elektrizitätsunternehmen auf einer Website zur Verfügung gestellt. Dank den Bemühungen der Ornithologen konnten auch die ersten Sanierungen gemacht werden, die im ganzen Kanton fortgesetzt werden sollten. Ein gutes Beispiel findet sich in der Region von Martigny, wo an mehreren problematischen Strommasten Vorrichtungen installiert wurden, die verhindern, dass grosse Vögel einen tödlichen Kurzschluss erzeugen können. Mehreren Mittelspannungsleitungen, die mit Abstand am gefährlichsten sind, wurden vom lokalen Stromverteiler in den Boden verlegt. Seitdem können sich die Uhus in dieser Region offenbar erholen.
Gefährliche Strommasten
Der Fall St-Léonard zeigt, dass nicht nur die Strommasten der regionalen Stromverteiler zu einer erhöhten Mortalität der Uhus führen, sondern dass auch alte Strommasten der SBB ein Problem darstellen. Dies stellt für die Ornithologen eine neue Erkenntnis dar. Eine Besichtigung von Raphaël Arlettaz nach dem Fund des Uhus hat gezeigt, dass entlang der Eisenbahnlinie zwischen Sierre und Sion von Hunderten von Strommasten nur deren 13 problematisch sind. Es handelt sich dabei um alte Strommasten in der Nähe des Bahnhofs St-Léonard, die nur noch selten zu sehen sind.
Im Aktionsplan Biodiversität Schweiz von 2017 zur Erhaltung der biologischen Vielfalt ist vorgesehen, dass im Einklang mit den Gesetzen zum Schutz der Wildtiere in der ganzen Schweiz sämtliche Stromnetze saniert werden. Die beiden Bundesämter für Verkehr und für Energie, die SBB und die Vogelwarte Sempach sind zurzeit daran, sich um diese Aufgabe zu kümmern. Für fauna.vs wäre es aber sehr wünschenswert, wenn die SBB die Sanierung der problematischen Masten wie in St-Léonard unverzüglich in die Hände nehmen würde. Generell lässt sich sagen, dass in einer Zeit, in der wir in der Landschaft laufend neue Infrastrukturen errichten, die für Vögel und Fledermäuse eine potenzielle Gefährdung darstellen, wie zum Beispiel Windkraftanlagen, es umso wichtiger wäre, die alten Infrastrukturen zu sanieren. Sonst können sich die für die Artenvielfalt problematischen Todesquellen mit der Zeit kumulieren.
fauna.vs hat eine Petition lanciert, mit der Forderung, dass die Massnahmen für die Sanierung der kantonalen Stromnetze schneller voranschreiten als bisher. Der Nutzen einer solchen Sanierung ist doppelter Natur: Wir schützen einerseits die Biodiversität und andererseits können die Unternehmen Kosten vermeiden, weil Reparaturen an Leitungen wegfallen, die nach Stromschlägen von Greifvögeln nötig sind.