Ein Jäger nimmt einen Jogger ins Visier, streckt ihn nieder und flieht. Jetzt zeigen Ermittlungen: Er hat offenbar schon mehrfach auf Menschen gezielt – und alles gefilmt.
In der Dämmerung eines Morgens im letzten November joggt der Rentner Olle Rosdahl um 04:30 in Südostschweden einer Landstrasse entlang, unweit seines Wohnhauses in Klippan. Plötzlich fällt ein Schuss, der 78-Jährige wird in der Hüfte getroffen, sackt zusammen.
Gegenüber dem schwedischen Fernsehsender SVT sagte er damals:
„Ich hörte einen Schuss und fiel zu Boden. Ich schrie ‚was zum Teufel soll die Schiesserei!’“
Er schwebt in Lebensgefahr, doch dank der Hilfe eines Nachbarn kommt er rasch ins Spital von Helsingborg und überlebt. Den 48 Jahre alten Schützen findet die Polizei nach einer gross angelegten Suchaktion mit schwerbewaffneten Einheiten und Helikopter erst sieben Stunden später. Er versteckt sich im Unterholz des dichten Waldes, und erklärt, es sei ein schrecklicher Unfall geschehen: Er habe, sagt der Norweger, der wie viele seiner Landsleute nach Schweden auf die Jagd fährt, in seinem mit Wärmesensoren ausgestatteten Zielfernrohr ein Reh gesehen und abgedrückt. Weil diese Art von Jagd im Dunkeln illegal ist, sei er verschwunden, als er Stimmen gehört habe.
Täter verstiess gegen Jagdgesetz
Aufgrund der Ermittlungen glaubt die Polizei aber bald nicht mehr an einen Unfall – und auch nicht an fahrlässige grobe Körperverletzung, wie die Luzerner Zeitung schreibt. Der Norweger wird wegen Mordes angeklagt. Denn auf der Speicherkarte des Zielfernrohrs fanden die Detektive einen kurzen Film, auf dem man eine hohe Gestalt mehr oder weniger deutlich auf zwei Beinen sieht (siehe Bild). Der Sucher folgt ihm eine Zeit lang, dann fällt der Schuss. Der Jäger müsse deutlich gesehen haben, dass er auf einen Menschen zielte, sagte Staatsanwalt Ola Lavie der schwedischen Zeitung «Kvällsposten». Dennoch habe er abgedrückt: «Er schoss, um zu töten», sagte Lavie diese Woche vor Gericht. Er erhielt Unterstützung von einem schwedischen Jagdexperten: Eine Verwechslung, sagte dieser, hätten allenfalls mit einen Bären geschehen sein können. Aber Bären gibt es in dieser Gegend nicht. In der Anklageschrift wird der Norweger laut dem Fernsehsender NRK weiter belastet. So soll er im vergangenen Herbst insgesamt sechs Mal nach Schweden gefahren sein. Das ist für Jäger nicht ungewöhnlich – viele Norweger jagen in der offenen südschwedischen Landschaft, insbesondere nach Wildschweinen. Doch dem 48-Jährigen werden mehrere Verstösse gegen die Jagdgesetze vorgeworfen: So soll er mehrfach illegalerweise nachts mit einem Infrarot-Visier gejagt haben und mit unerlaubt grossem Kaliber geschossen haben.
Verteidigung verweist auf fehlendes Motiv
Noch verdächtiger sind weitere sichergestellte Kurzfilme aus der Kamera im Zielfernrohr, die laut Staatsanwaltschaft zeigen, dass der Jäger sein Gewehr immer wieder auch auf andere Menschen gerichtet hatte, sogar auf den Kopf einer Person. Abgedrückt hat er aber in diesen Fällen nicht. Zudem hat er mindestens einmal auf das Haus des Rentners Olle Rosdahl gezielt, den er schliesslich niederstreckte. Ein persönliches Motiv oder eine Beziehung zwischen dem norwegischen Jäger und dem 78-jährigen Opfer, die einen Mordanschlag erklären könnten, hat die Staatsanwaltschaft bisher allerdings nicht gefunden. Die Verteidigung wies auf dieses fehlende Motiv hin. Der Angeklagte, der während der Gerichtsverhandlung immer wieder weinte, wies jede Schuld von sich. Sein Mandant habe, erklärte dessen Anwalt, obwohl er ein erfahrener Jäger sei, beim Blick ins Zielfernrohr einen schrecklichen Fehler gemacht. Hätte er gewusst, dass er einen Menschen beschossen habe, wäre er diesem natürlich zu Hilfe geeilt und hätte sich nicht im Wald versteckt.