Unkultur

Graureiher: Exzessive, illegale Abschüsse in Graubünden

Weil der Kanton Bern bis 2014 immer wieder eine hohe Anzahl Spezialabschüsse beim geschützten Graureiher bewilligte, hatte der Verband Schweizerischer Vogelschutz (VSV) eine Beschwerde gegen die Praxis des Kantons Bern eingereicht und erhielt im Frühjahr 2015 vor Bundesgericht recht.

Die Kantone müssen seither eine Verfügung ausstellen, wenn sie einen geschützten Vogel abschiessen wollen. Gibt es Hinweise, dass ein Abschuss rechtswidrig wäre, muss ein Naturschutzverband wie z. B. der Bündner Vogelschutz (BVS) gegen die Verfügung Einsprache erheben können. Dabei werden die Vorgaben vom Bundesgericht für einen Spezialabschuss eng gefasst: Es reicht nicht, wenn ein Reiher regelmässig eine Fischzucht aufsucht: da müssen bauliche Massnahmen umgesetzt werden (z. B. das Spannen von Drähten über den Becken). Und ein Graureiher der an einem fischarmen Gewässer steht, wird vom Bundesgericht auch nicht zum Spezialabschuss freigegeben. Für Schwall- Sunk Betrieb, Einleitung von Pestiziden und Insektiziden durch die Landwirtschaft in die Gewässer und der daraus folgenden Fischarmut, kann schlecht ein Vogel verantwortlich gemacht werden.

Obwohl also seit dem April 2015 ein Bundesgerichtsurteil vorliegt, das festlegt, dass ornithologische Verbände wie der BVS gegen Abschüsse von geschützten Vögel eine Einsprachemöglichkeit erhalten müssen, negierte das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden auch noch im Jahr 2016 dieses Bundesgerichtsurteil und liess alleine 2016 weitere 49 Graureiher im Kanton abschiessen (schweizweit waren es insgesamt 51 Graureiherabschüsse.). Und das wohlbemerkt, ohne dass der Bündner Vogelschutz eine Verfügung zugestellt bekommen hätte!

Eidg. Jagdstatistik

Während die meisten Kantone gar keine Spezialabschüsse in den letzten Jahren verfügten, wurden in Graubünden von 2013 bis 2016 einhundert Graureiher getötet. Die Daten für 2017 sind noch nicht publiziert worden. Nach dem Empfinden vieler Ornithologen nimmt der Bestand der Vogelwelt bei den meisten Arten laufend ab. Aber das Amt für Jagd und Fischerei in Graubünden weiss nichts Besseres zu tun, als auch noch die geschützten Graureiher aus der Landschaft zu schiessen. Ein völlig unhaltbarer Zustand, der mit nichts einigermassen vernünftig begründet werden kann.

Zoff mit dem Amt für Jagd und Fischerei Graubünden

Zur Zeit wird nun über das weitere Vorgehen mit dem Verband Schweizerischer Vogelschutz beraten und weitere Informationen werden folgen. Die Meldeplattform ornitho.ch, die von der Schweizerischen Vogelwarte betrieben wird, hat eine breite Trägerschaft, darunter auch das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden. Damit sind auch versteckte Meldungen vom Amt einsehbar. Die Vogelschützer möchten daher, dass vorderhand keine Graureiher Beobachtungen in Graubünden auf ornitho.ch mehr gemeldet werden. Dies als Vorsichtsmassnahme, weil sonst die Möglichkeit besteht, dass weitere Abschüsse anhand der Meldungen durchgeführt werden. Dies so lange, bis die Situation in Graubünden der schweizerischen Rechtslage entspricht.

Update 3.3.2020

Im Kanton Graubünden werden schweizweit die meisten Graureiher geschossen. Jetzt ist Kritik an der Abschusspraxis aufgekommen.

In den Jahren 2015 bis 2018 wurden schweizweit total 106 Graureiher erlegt. 88 davon wurden in Graubünden zur Strecke gebracht. Diese Abschüsse seien unrechtmässig erfolgt. Die zur Beschwerde berechtigten Organisationen wie der Bündner Vogelschutz hätten keine entsprechenden Abschussverfügungen zugestellt bekommen, heisst es in einem letzten Dezember im Grossen Rat eingereichten Vorstoss.

In der am Montag veröffentlichten Antwort wehrt sich die Regierung. Die Abschüsse von «schadenstiftenden Graureihern» vor allem in der Nähe von Fischzuchtanlagen im Misox würden auf der Basis eines Massnahmenplans über fischfressende Vögel vorgenommen. Sie seien gesetzeskonform.

Umsetzung mit mehr Personal

Trotzdem gibt es offenbar Verbesserungspotenzial. Denn ein Bundesgerichtsurteil von 2013 verlangt, dass vor einem Abschuss Verfügungen erlassen werden müssen, die angefochten werden können. Die Umsetzung des Entscheides des Bundesgerichts verzögere sich wegen umfassender Vorgaben, schrieb die Regierung.

Sie ist eigenen Angaben zufolge nicht nur bereit, sondern sieht sich in der Pflicht, Entscheide «betreffend fischfressende Vögel» künftig den beschwerdeberechtigten Organisationen zu eröffnen. Der Schweizerische Vogelschutz soll unter den Adressaten sein, versichert die Regierung.

Und die Vogelschützer können sich berechtigte Hoffnungen auf eine Besserung der Situation machen: Zumal das Amt für Jagd und Fischerei für 2020 laut Regierung «zusätzliche personelle Ressourcen» habe bereitstellen können, um «künftig auch die formellen Vorgaben umfassend umsetzen zu können».

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