Die laufenden Diskussionen um grosse Beutegreifer – allen voran um den Wolf – werden heute weniger aufgrund von Fakten als vielmehr auf Basis von Emotionen geführt. Der Wolf ist daher einer Rufmord-Kampagne unter anderem der verantwortungslosen Flintenfuchtlern ausgesetzt.
Wölfe sind keine Teddybären. Sie reissen Wildtiere, Schafe und Ziegen, wenn deren Halter sie nicht ausreichend schützen. Auch Wildschweine, Kühe und – wenn man Pech hat – Zecken können Menschen gefährlich werden. Vorsicht ist geboten, Panik aber nicht. Die wirkliche Gefahr für Mensch, Tier und Natur geht immer noch von den zweibeinigen Wölfen aus.

Genaue Zahlen für unliebsame Begegnungen zwischen Mensch und Tier sind nicht in Erfahrung zu bringen, doch manchem mögen noch Meldungen aus dem letzten Jahr in Erinnerung sein: Am Berninapass wurde ein 55-jähriger Italiener von einer Mutterkuh angegriffen und schwer am Kopf verletzt. Bei Silvaplana GR wurden drei Frauen und ihr Hund von einer Kuh angegriffen. Alle drei mussten mit der Rega und einer Ambulanz ins Spital gebracht werden. Bei der Bannalp NW kam es im Sommer 2019 gleich zu zwei Vorfällen: Im Juli wurde ein Hund von einer Kuhherde zu Tode getrampelt; der Hundehalter zog sich Verletzungen zu. Einen Monat später wurden zwei Wandergruppen von einer Kuhherde angegriffen; zwei Personen wurden mittelschwer verletzt und mussten mit der Rega ins Spital geflogen werden.
Schärferes Vorgehen gegen Schafhalter gefordert
In der Schweiz leben heute geschätzte 270’000 Rehe, Hirsche und Gämsen. Von diesen Wildtieren kommen jährlich 65’000 durch die Jagd zu Tode, Tausende zusätzlich durch den Verkehr. Ähnlich ist die Bilanz bei den Nutztieren: Bei einem Bestand von 210’000 Schafen in den Sömmerungsgebieten reissen Wölfe im Durchschnitt pro Jahr deren 200 bis 300. Durch Krankheit, Blitz- und Steinschlag hingegen sterben über 4’000 Schafe. Alle übrigen Schafe enden eher früher als später im Schlachthof- wo ist hier die Anteilnahme der Schäfer bei den abscheulichen Bildern ihrer “geliebten” Tiere und Quälerei im Schlachthaus? Insider aus Schäfer- und Jägerkreisen berichten zudem immer wieder von Schafen, die Ende Sommer auf Alpen zurückgelassen werden, weil es zu aufwendig wäre, sie ins Tal zurückzuholen, oder weil sie sich in unwegsamem Gelände verstiegen haben. Tatsache ist: Der Wolf tötet nur einen Bruchteil der Schafe, die Jahr für Jahr auf Alpen zu Tode kommen.
Würden in der Schweiz 20 Wolfsrudel leben, was von den Lebensräumen her locker möglich wäre, müssten für ihre Ernährung etwa 5’300 Huftiere sterben. Wird der Lebensraum zu eng, ziehen Wölfe einfach über Grenzen hinweg und suchen sich ein geeigneteres Revier und/oder drosseln die Reproduktion.
In Tat und Wahrheit sterben also jeden Sommer auf der Alp um ein Vielfaches mehr Schafe an Todesursachen wie Krankheiten, Unfällen oder Blitzschlägen als durch den Riss von Beutegreifern. Das Landwirtschaftsrecht und das Tierschutzrecht des Bundes verlangen, dass die Landwirte dafür sorgen, dass einerseits nur gesunde Tiere auf die Alp getrieben werden und dass andererseits diese auf den Alpweiden so gehalten und geführt werden, dass sowohl die Nutztiere als auch die Alpweide vor Schädigung bewahrt bleiben. Die Kantone sind verpflichtet, die Praxis der Tierhalter und der Alpbewirtschafter zu überwachen.
Laut Kantonstierarzt Reto Wyss im Kanton Bern rückt der Veterinärdienst des Kantons 50- bis 60-mal im Jahr wegen Tierschutzmeldungen zu Schafen aus. Obschon Wolfsrisse etwa gleich oft ein Thema sind, fordert aber niemand schärferes Vorgehen gegen Schafhalter, welche gegen die Tierschutzverordnung verstossen. Weshalb wird die Subventionsdusche der Schafüberzucht nicht zum Ziel politischen Engagement bei maroden Finanzen und Spareifer? Mit rund 100 Franken pro Jahr subventioniert jeder Schweizer Steuerzahler (ob er aus ethischen Gründen will oder nicht) ein Schaf für den Metzger, was 40 – 45 Millionen Franken pro Jahr bedeutet.
Auch die Tourismusindustrie könnte in ungeahnte Höhen abheben, wenn die Touristen wieder Wildtiere zum Fotografieren zu sehen bekämen.
Schafe, die ohne Aufsicht auf der Alp sind, fressen die für die Wildtiere wichtigen Weiden oft bis in grosse Höhen ab. Dies hat ihnen auch bei UmweltschützerInnen einen schlechten Ruf eingebracht. Ein Hirt oder eine Hirtin kann dem entgegenwirken. Wird die Schafherde rechtzeitig auf neue Weidegründe getrieben, bleibt die Pflanzenvielfalt auf den Weiden erhalten.
Die Begleitung von Schafherden durch Hirtinnen und Hirten sowie Schutzhunde hat noch andere Vorteile: Sie macht Schafherden nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch sicherer. In niedrigeren Lagen können Schafherden auch von wildernden Hunden bedroht werden. Eine unbewachte Schafherde ist für sie ein gedeckter Tisch, an welchem sie sich ungehindert satt essen können.
Im Schweizer Nationalpark führte laut einer Studie der Wechsel von der Weide für Kühe und Schafe zur Hirschweide zu einer komplett neuen Artenzusammensetzung der Vegetation und einer Verdoppelung der Artenvielfalt!
Die medialen Hetzkampagnen bzw. der Rufmord gegen den Wolf aus dem Lager der Befürworter vom missratenen Jagdgesetz behindern die Biodiversität und die Schutzwälder – damit werden wieder Menschenleben einer Gefahr ausgesetzt, was weder fortschrittlich, gesund noch sicher ist.
Interessen-Gemeinschaft Wild beim Wild
Die IG Wild beim Wild ist eine gemeinnützige Interessen-Gemeinschaft, die sich für die nachhaltige und gewaltfreie Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung einsetzt, wobei die IG sich auch auf die rechtlichen Aspekte des Wildtierschutzes spezialisiert hat. Eines unser Hauptanliegen ist, in der Kulturlandschaft ein zeitgemässes und seriöses Wildtiermanagement nach dem Vorbild vom Kanton Genf einzuführen – ohne Hobby-Jäger aber mit integren Wildhütern, die den Namen auch verdienen und gemäss einem Ehrenkodex handeln. Das Gewaltmonopol gehört in die Hände des Staates. Die IG unterstützt wissenschaftliche Methoden der Immunokontrazeption für Wildtiere.