Indemini – Am 9.1.2018 machten mehr als hundert Jäger im Teutoburger Wald zwischen Sennestadt und Oerlinghausen in NRW (Deutschland) Jagd auf Wildschweine. Ein Dutzend Tierrechtsaktive aus unterschiedlichen Gruppen stellte sich vor Ort den Jagdgesellschaften entgegen. Jagdleiter sprechen anschliessend von geringeren Todeszahlen wegen den Aktivitäten der Aktivisten.

Anlass der Jagd war die Afrikanische Schweinepest – die in Deutschland jedoch noch gar nicht aufgetreten ist. Noch dazu bestehen Zweifel, ob die Jagd die Gefahr der Seuche nicht erhöht, statt sie zu verringern. Für die Aktiven steht ohnehin fest: Eine potenzielle Seuchengefahr kann keine Legitimation zum Abschuss unschuldiger Tiere liefern. Im Gespräch mit den Jägern wird deutlich, dass es auch ihnen kaum um die Seuche geht, sondern um das Auffüllen der Kühltruhen. Von den zwei Jagdgesellschaften schiesst eine deshalb auch keineswegs ausschließlich auf Schweine.

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Doch der Dialog geht darüber hinaus. Manche Jäger zeigen Verständnis für die Position der Aktiven, gestehen ein, dass allein die Anonymität der Opfer sie abdrücken lässt – die moralische Rechtfertigung fehlt. Andere bedrohen die verständlicherweise unerwünschten Störer. Tatsächliche Gewalt gegen die Aktiven blieb aber aus.

Das Glück haben andere nicht. Zu viele, die die Jäger ins Ziel nehmen wollen, können an diesem Tag nicht gerettet werden. Das Album enthält auch Bilder von Todesopfern. Manche haben mehr als eine Schusswunde, entflohen nach dem ersten Treffer, starben sie mit dem zweiten. Szenen des Grauens auch, wo Jagdhunde Schweine zerreissen.

Laut Medienberichten liegt die Zahl der Todesopfer bei 20 Wildschweinen und 10 Rehen. Es wird vermutlich weitere Opfer im Wald gegeben haben – nicht gezählt, nicht mitgenommen, aber verletzt oder an Wunden gestorben. Letztlich ist die Jägerseite enttäuscht, dass nicht mehr Tiere erschossen wurden. Dafür werden die Tierrechtsaktiven konkret verantwortlich gemacht. Für die Aktivisten ist das eine gute Nachricht am Ende eines schrecklichen Tages.

Führt mehr Jagd zu mehr Wildschweinen?

Auch für Holger Sticht vom nordrhein-westfälische Landesverband des  Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland  (BUND) „ist die intensive Jagd ein Teil des Konflikts und nicht Teil der Lösung.“ Denn sie führe zu einer verstärkten Vermehrung der Wildschweine.

Sticht verweist auf eine Studie, die zwei Wildschweinpopulationen verglich: eine häufige und eine kaum bejagte. In dem stark bejagten Bestand sei die Vermehrungsrate „signifikant höher gewesen“.

Diesen Effekt bestätigt auch Ministeriumssprecher Peter Schütz. Darum müsse „der Zuwachs der Wildschweine pro Jahr überkompensiert werden.“ Also: Noch mehr Wildschweine müssten abgeschossen werden. Ob die Jägerschaft das leisten könne, wisse Schütz nicht: „Es wird sicherlich Regionen geben, da schaffen es die Jäger nicht.“

Der BUND kritisiert die durch das Landwirtschaftsministerium angeordnete Reduzierung der Schonzeit für Wildschweine scharf. NRW-Landwirtschaftsministerin Schulze Föcking hatte per Erlass verfügt, dass die Schonzeit für Wildschweine mit sofortiger Wirkung bis zum 31. März aufgehoben wird. Ausgenommen sind nur Muttertiere und Frischlinge unter 25 Kilogramm. Als Begründung führte sie das Auftreten der Afrikanischen Schweinepest in Polen an.

„Kein Wildschwein läuft von Polen nach NRW, sondern die bekannten Ausbreitungswege der Afrikanischen Schweinepest sind Jagdtouristen und Fleischkonsumenten, die kontaminierte Nahrungsreste in der Landschaft hinterlassen“, sagte Holger Sticht, Landesvorsitzender des BUND. Deswegen sei das Landwirtschaftsministerium gefordert, Verbraucherinnen und Verbraucher aufzuklären und die Jagdausübung stärker zu kontrollieren.

„Anstatt die Problemursachen anzugehen verfällt die Landwirtschaftsministerin in Aktionismus, der die Gefahr der Ausbreitung noch erhöht“, sagte Sticht.

Nach Angaben des Ministeriums steigt die Zahl der Wildschweinabschüsse durch Jäger in NRW seit Jahren kontinuierlich an. Im letzten Jagdjahr waren es 39.000 Tiere, 4.500 mehr als im Jahr zuvor. Dass die Zahl der Konflikte trotz bereits intensiver Verfolgung steigt, ist aus BUND-Sicht ein deutliches Indiz dafür, dass die Jagd nicht hilft, sondern im Gegenteil schadet.

Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass eine intensive Jagd beim Wildschwein zu stärkeren Vermehrungsraten führt, so Sticht.

Er verweist auf die nach der leitenden Wissenschaftlerin benannten „Servanty-Studie“ von 2009. Sie untersuchte in Frankreich über 22 Jahre hinweg zwei Wildschweinpopulationen: eine, die kaum bejagt wurde, und eine weitere, die häufig bejagt wurde. Sie wies nach, dass die Vermehrungsrate in dem stark bejagten Bestand signifikant höher ausfiel als in dem weitgehend sich selbst überlassenen Bestand.

Das Wildschwein (Sus scrofa) ist eine ursprünglich flächig in NRW verbreitete Säugetierart, die nach ihrer Ausrottung in vielen Teilen des Landes zur Mitte des 20. Jahrhunderts nun selbstständig zurückkehrt. Für den Erhalt der biologischen Vielfalt ist dies wesentlich, da zahlreiche Tiere, Pflanzen und Pilze von den natürlichen dynamischen Einflüssen dieser Tierart profitieren. Gleichwohl führt diese Rückkehr immer wieder zu unterschiedlichen Konflikten, weil der Mensch nahezu alle Lebensräume besetzt hat. Tatsächlich gibt es für alle Konflikte längst erfolgserprobte Lösungen: landwirtschaftliche Kulturen werden mit mobilen Elektrozäunen effektiv gesichert, Friedhöfe und Siedlungsbereiche können durch eine Anpassung der Zaunanlagen geschützt werden.

Ein vermehrtes Eindringen von Wildschweinen in Siedlungsbereiche in den letzten Jahren ist Folge der flächendeckenden Jagd. Denn die schlauen Tiere suchen gezielt befriedete (von der Jagd ausgenommene) Bereiche auf, um sich vor der Verfolgung zu schützen.

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Längst überfällig: Die Pille für das Wildschwein

Einer weiteren Intensivierung der Jagd auf Wildschweine – wie sie jetzt von Jägern und Jägerfreunden in der Politik aufgrund des Auftretens der Afrikanischen Schweinepest in Teilen Osteuropas gefordert wird – sind allerdings Grenzen gesetzt, sowohl im räumlichen Sinne (Problem der Jagd in städtischen Regionen), als auch aus ethischen Gründen aus Tierschutzgründen: Die Aufhebung von Schonzeiten, das Abschiessen von Leitbachen, eine verstärkte Jagd auf Frischlinge und eine zunehmende Anzahl von Drückjagden stossen nicht nur in der Bevölkerung auf Akzeptanzprobleme, auch im Kreis der Jägerschaft gibt es Widerstände.

Eine Lösung, die Landwirtschaft, Gemeinden und Städten helfen könnte, liegt in der Empfängnisverhütung bei Wildschweinen, fordert der Wildtierschutz Deutschland.

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