Die inzwischen weitverbreiteten blauen Reflektoren am Strassenrand können die Zahl von Wildunfällen laut einer Studie nicht verringern. Bei einer Untersuchung auf 150 Teststrecken in den Landkreisen Göttingen (Niedersachsen), Höxter (Nordrhein-Westfalen) sowie Kassel und Lahn-Dill (beide Hessen) hätten sich die Reflektoren als wirkungslos erwiesen, sagte der Göttinger Waldökologe Christian Ammer.
Zahl der Wildunfälle steigt weiter
„Die Ausgaben für die inzwischen weit verbreiteten Wildwarnreflektoren kann man sich jedenfalls sparen„, sagte auch der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), Siegfried Brockmann. Die Hoffnung, das von Autoscheinwerfern reflektierte Licht könne Wildtiere von der Strassen abhalten, habe sich zerschlagen. Die Studie war im Auftrag der UDV entstanden.
Wie wenig Nutzen die Reflektoren haben, könne man auch aus der weiter gestiegenen Zahl der Wildunfälle folgern, sagte Brockmann. Sein Verband habe im vergangenen Jahr so viele Wildunfälle registriert wie noch nie seit Anfang der 90er Jahre. Bundesweit seien rund 275.000 Kollisionen gemeldet worden. Dies sind gut 750 pro Tag und 11.000 mehr als im Vorjahr. Bei den Kollisionen wurden zehn Menschen getötet und fast 3000 verletzt. Der wirtschaftliche Schaden betrug etwa 744 Millionen Euro.
Schweiz
Dank Präventionsmassnahmen passieren immer weniger Unfälle auf unseren Strassen. Nicht so bei Wildunfällen: Die Zahl der Unfälle mit Tieren ist auch auf Schweizer Strassen seit Jahren gleichgeblieben. Die Jägerschaft ist mitverantwortlich für die vielen Wildunfälle. Schweizweit kollidiert durchschnittlich jede Stunde ein Auto mit einem Reh, Tendenz steigend. Daraus ergeben sich pro Jahr 20’000 verunfallte Tiere im Strassenverkehr. Dabei werden 60 Personen verletzt und es entsteht ein Sachschaden von 40 bis 50 Millionen Franken.
Tiere ignorieren Reflektoren
Für ihre Studie haben die Göttinger Forscher zusammen mit Kollegen von der Universität Zürich etwa 10.000 Stunden Videomaterial ausgewertet, das sie mit Infrarotkameras an den zwei Kilometer langen Teststrecken aufgenommen haben. „Dabei wurden etwa 1600 Begegnungen zwischen Tieren und Fahrzeugen dokumentiert“, sagte Waldökologe Ammer. „Für das Verhalten der Tiere spielte es keine Rolle, ob sich an den Strecken blaue Wildreflektoren befanden oder nicht„, sagte Ammer.
Untersucht wurde die Wirksamkeit von drei gängigen, auf dem Markt befindlichen blauen Wildwarnreflektoren, ein hellblauer, ein dunkelblauer und ein mehrfarbiger. Für jeden der drei Reflektortypen wurden jeweils zwei Jahre lang 50 Test- und Kontrollstrecken zu je ca. 2 km Länge untersucht. Sie sollten das Licht der Scheinwerfer blau reflektieren und Wildtiere warnen, die auf blaues Licht stärker reagieren als auf weisses.
Die Meinungen zur Wirksamkeit blauer Reflektoren seien unterschiedlich, sagte dazu ADAC-Sprecherin Alexandra Kruse. Bei einzelnen Projekten mit diesen Wildwarnern gebe es „durchaus positive Erfahrungen„. Gute Erfahrungen habe der ADAC auch mit sogenannten Duftzäunen gemacht, die das Wild warnen. Diese seien aber teuer, sodass sie selten genutzt würden.
Neue Erkenntnisse und eine hohe Wirksamkeit erhofft sich der ADAC von einem neuen Projekt zur Wildunfall-Prävention in Sachsen-Anhalt, das kürzlich gestartet wurde. Anders als die blauen Reflektoren wirke das neue System auch tagsüber. „Ausgelöst durch Fahrgeräusche und Scheinwerferlicht werden sowohl optische als auch akustische Warnsignale aktiviert„, sagte Kruse. Das Verfahren sei neu für Deutschland, habe sich in Österreich aber schon bewährt.
Technische Verbesserungen an Fahrzeugen die Lösung?
Um die Zahl der Unfälle zu reduzieren, könnte man die Wilddichte und das Verkehrsaufkommen senken, meint Waldökologe Ammer. Beides halte er aber ebenso für wenig realistisch wie eine generelle Umzäunung von Strassen, auf denen es zu Wildwechsel komme.
Möglich und wirksam wären dagegen technische Verbesserungen an den Fahrzeugen, sagte Unfallforscher Brockmann. Infrage komme zum Beispiel der Einbau von Infrarot-Sensoren. „Wenn Wild am Strassenrand steht, würden solche Geräte die Fahrer durch akustische Signale warnen„, sagte Brockmann.
Teurer aber wohl noch wirkungsvoller wären spezielle Nachtsichtkameras, deren Aufnahmen im Display der Fahrzeuge sichtbar wären. „In einer höheren Entwicklungsstufe würden die Fahrzeuge dann auch noch selbstständig bremsen, wenn Wild auf der Strasse oder am Fahrbahnrand auftaucht„, sagte Brockmann. Der ADAC hat noch einen anderen Tipp: Langsamer fahren. Das reduziere im Fall der Fälle den Bremsweg.
System laut Hobby-Jäger wirkungsvoll
Für Schweizer Hobby-Jäger ist die Studie ein Schlag ins Gesicht. Der Amateur-Jäger Daniel Ammon (47) hat die Reflektoren im Kanton Bern eingeführt. Er wettert: «Die Ergebnisse dieser Studie decken sich überhaupt nicht mit unseren Erfahrungen.»
Man habe in den vergangenen Monaten im ganzen Kanton umfangreiche Erhebungen durchgeführt. «Auf den meisten Strecken konnten wir mit den Reflektoren die Zahl der toten Rehe signifikant senken», sagt er.
Im Kanton Schaffhausen haben die Reflektoren angeblich Wirkung gezeigt. Werner Stauffacher (61), Präsident der Jagd Schaffhausen, sagt: «Wir mussten auf den entsprechenden Strecken viel seltener ausrücken als in den Jahren zuvor.» Laut Statistik sind im Kanton Schaffhausen in den vergangenen Jahren jedoch nicht weniger Rehe verunfallt – im Gegenteil!
Studie sabotiert Wildwarnsystem
Auch im Kanton Bern wurden mehr Wildunfälle verzeichnet. Jäger Daniel Ammon erklärt: «Wir haben die 2000 Reflektoren erst 2017 vollständig installiert.» Zudem seien massiv mehr Geräte nötig, um die Zahl der toten Rehe im ganzen Kanton sichtbar zu senken.
Doch auch die Naturschutzorganisation Pro Natura hat ihre Zweifel an der Wirksamkeit der blauen Reflektoren. «Sie können kurzfristig schon wirken. Über einen längeren Zeitraum hinweg gewöhnen sich die Tiere jedoch an das Warnsignal und reagieren kaum mehr», sagt Jan Gürke von Pro Natura.
Effizienter sei es, die Autofahrer zu warnen, wenn sich ein Tier der Strasse nähert. Vereinzelt würden solche Systeme schon eingesetzt.