Umwelt

Rechtsgutachten bestätigt: Stromgesetz ist naturzerstörend und antidemokratisch 

Das Naturkomitee warnt in seiner Kampagne vor einer Aufweichung des Naturschutzes und einer Abschaffung von demokratischen Mitbestimmungsrechten. Ein Rechtsgutachten des Aarauer Rechtsanwalts Dr. Lukas Pfisterer bestätigt nicht nur vollinhaltlich unsere Position, sondern fördert neue Aspekte zutage.
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Vermehrte Ausscheidung von Eignungsgebieten und kein Naturschutz.

Die Festlegung von Eignungsgebieten im kantonalen Richtplan insbesondere für Wasser- und Windkraftwerke gibt es schon heute: «Das ist nicht neu. Denn für die grossen Produktionsanlagen gilt bereits die Anforderung, dass sie im Richtplan festgesetzt werden müssen (…)». Weil Solar- und Windenergieanlagen von nationalem Interesse neu grundsätzlich Vorrang vor allen anderen Interessen haben, steigt laut UVEK für die Projektanten die Wahrscheinlichkeit, eine Baubewilligung zu erhalten. «Unter der neuen nationalen Zielvorgabe (…) ist zu erwarten, dass die Kantone vermehrt Eignungsgebiete ausscheiden (…). Das Argument, Natur- und Landschaftsschutz würden profitieren, erscheint vor diesem Hintergrund als beschönigend und ist zu relativieren.» 

Vermehrter Bau von Anlagen in schönsten Landschaften der Schweiz 

Die Bevorteilung von Energieanlagen gilt auch innerhalb der BLN-Gebiete. Bereits heute im Energiegesetz ist «eine erste deutliche Akzentverschiebung zugunsten dieser Anlagen erfolgt: Sie sollen ‹grundsätzlich vermehrt auch in BLN-Gebieten gebaut werden können›, was zuvor kaum möglich war (vgl. Botschaft zur Revision des Energierechts)». Das Stromgesetz geht nun einen Schritt weiter: Neu müssen Inventargebiete «nicht mehr ungeschmälert erhalten bleiben. 

Anders gesagt: Die Anlagen dürfen die schönsten Landschaften der Schweiz beeinträchtigen.» Auf die bisher notwendigen Wiederherstellungs- oder Ersatzmassnahmen kann zukünftig verzichtet werden. Zu dieser Ermessensentscheidung meinte Bundesrat Rösti im Ständerat: «Ich würde jetzt hier in der Güterabwägung eher auf die Seite der Produktion (…) gehen.». Das Gutachten schlussfolgert: «Angesichts der gesetzten Ausbauziele und der Prämisse, dass die Grossanlagen ‹grundsätzlich vermehrt auch in BLN-Gebieten gebaut werden› dürfen, werden die Erfolgsaussichten für Interessen des Natur- und Umweltschutzes wohl beträchtlich zugunsten der Stromproduktion verringert.» 

Demokratie in den Gemeinden würde ausgehebelt 

Richtplaneinträge sind behördenverbindlich. «Die Gemeinden müssen diese Festsetzung in der Ortsplanung berücksichtigen.» Dies zeigt sich aktuell in Rickenbach (LU), wo der Kanton eine Schutzzone nicht als genehmigungsfähig erachtet, weil der Richtplan dort ein Eignungsgebiet für Windenergie vorsieht. Müssen heute aber kommunale Interessen immerhin noch berücksichtigt werden, soll sich das zukünftig «zu Gunsten der nationalen Interessen weiter verschieben: Das nationale Interesse geht den kantonalen, regionalen und kommunalen Interessen vor.» 

«Volksinitiativen oder Volksabstimmungen zur Einführung von Schutzzonen entgegen dem Richtplaneintrag dürften künftig unzulässig sein. Denn solche Zonen widersprechen u. a. den Ausbauzielen und verstossen im Ergebnis gegen Bundesrecht. Zudem haben lokale oder regionale Interessen vor dem nationalen Strominteresse zu weichen.» «Abstimmungen für Schutzzonen wie in Rickenbach dürften damit ausgeschlossen werden. Die Demokratie in den Gemeinden würde ausgehebelt.» 

Ausweitung der Zuerkennung des nationalen Interesses für kleinere Anlagen 

Anlagen, welche die Schwelle für das nationale Interesse nicht erreichen, konnte der Bundesrat bisher «ausnahmsweise» das nationale Interesse zuerkennen. Neu wurde das «ausnahmsweise» gestrichen. «Die Anerkennung des nationalen Interessens soll daher keine Ausnahme mehr bleiben, sondern vermehrt erfolgen.» 

Konzentriertes und abgekürztes Verfahren kann Standortgemeinden entmachten 

Der Bundesrat kann bei Anlagen, denen er das nationale Interesse zuerkennt, obwohl sie die Schwelle für das nationale Interesse nicht erreichen, beschliessen, dass die notwendigen Bewilligungen in einem konzentrierten und abgekürzten Verfahren erteilt werden. Sollte die Bestimmung «so ausgelegt werden, dass der Kanton die Standortgemeinden nicht nur im Baubewilligungsverfahren entmachten, sondern auch bei der Ortsplanung, hätten die Standortgemeinden nichts mehr zu entscheiden. Sie könnten auch nicht mehr über Zonenplanänderungen abstimmen oder ein Referendum ergreifen.» 

Beschränkung der Rechtsmittelmöglichkeiten 

Mit dem grundsätzlichen Interessensvorrang und «der Regel, dass mit dem Richtplan der Bedarf an den Grossanlagen ausserhalb der BLN-Gebiete ausgewiesen ist sowie sie standortgebunden sind, wird die Rechtskontrolle deutlich gestutzt». Bedarf und Standortgebundenheit sind vorgegeben und damit der behördlichen und gerichtlichen Überprüfung entzogen. «In den nachfolgenden Verfahren der Nutzungsplanung bzw. der Baubewilligung sind die Argumente gegen Solar- oder Windparks damit bereits erheblich eingeschränkt. Sofern Ermessensentscheide zu treffen sind, muss zudem das nationale Interesse an den Anlagen gleich bzw. höher gewichtet werden als andere nationale Interessen, jedenfalls aber als kantonale, regionale und kommunale Interessen. Die Hürden für Naturschutzverbände und Private für erfolgreiche Einsprachen bzw. Beschwerden gegen diese Anlagen werden im Ergebnis markant erhöht (…)». 

«Die Aussage des BFE im Faktenblatt ‹Mitsprache- und Beschwerdemöglichkeiten› zum EnG, wonach an den bestehenden Rechtsmitteln grundsätzlich nichts geändert werde und sämtliche Rechtsmittel ‹unverändert zur Verfügung› stünden, trifft somit einzig auf die formelle Abfolge der Verfahrensschritte zu. Inhaltlich, materiell, werden die Rechtsmittelmöglichkeiten klar (weiter) eingeschränkt.» 

Verletzung der Bundesverfassung, Kantonsverfassungen und Verstoss gegen die Alpenkonvention 

Grundsätzlicher Vorrang der Energieerzeugung vor Naturschutz 

Die Regelung, welche «das Interesse an den Grossanlagen grundsätzlich über alle anderen nationalen Interessen stellt, erscheint als verfassungswidrig. Denn der Verfassungsgeber hat unter den Staatsaufgaben, wozu nebst der Energieversorgung auch der Landschafts- und der Umweltschutz im Allgemeinen gehören, keine ‹Wertehierarchie› festgelegt». 

Beeinträchtigung nationaler Schutzgebiete 

Eine Ermessensentscheidung zum Verzicht auf Wiederherstellungs- oder Ersatzmassnahmen bei Beeinträchtigungen von Inventargebieten «würde Art. 78 Abs. 2 Bundesverfassung widersprechen, wonach der Bund bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die Anliegen des Natur- und Heimatschutzes nimmt, unter anderem Landschaften sowie Naturdenkmäler schont und sie ungeschmälert erhält, wenn das öffentliche Interesse es gebietet.» 

Alpenkonvention (Übereinkommen vom 7. November 1991 zum Schutz der Alpen) 

Der grundsätzliche Interessenvorrang erscheint «auch angesichts der Verpflichtungen aus der Alpenkonvention als kritisch. Denn in dieser Konvention hat sich die Schweiz zu Naturschutz und Landschaftspflege verpflichtet, u. a. mit dem Ziel, Natur und Landschaft so zu schützen, zu pflegen und, so weit erforderlich, wiederherzustellen, dass die Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Natur und Landschaft in ihrer Gesamtheit dauerhaft gesichert werden». 

Eingriff in den kantonalen Zuständigkeiten 

«Der Bundesrat wird also (und dies in einer Verordnung) in die kantonalen Zuständigkeiten eingreifen und die Bewilligungszuständigkeit von den Gemeinden auf den Kanton verlegen können, entgegen der kantonalen Baugesetzgebung oder sogar den Kantonsverfassungen.» 

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Rechtsanwalt Dr. Lukas Pfisterer war 2023 Grossratspräsident des Kantons Aargau und ist spezialisiert auf Bau- und Immobilienrecht. Er bestätigt die Aussagen des Zürcher Staatsrechtsprofessors Dr. Alain Griffel, welcher das Stromgesetz als verfassungswidrig erklärt hat (Link zum Gutachten). 

Das Naturkomitee gegen das Stromgesetz ist bemüht, die Folgen der Vorlage der Stimmbevölkerung aufzuzeigen und möglichst viele Personen von einem NEIN am 9. Juni 2024 zu überzeugen. 

Es ist nicht nötig, die Natur zu zerstören, solange es auf Dächern und Infrastrukturen ein riesiges Solarpotential hat!

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