Wissenschaft

Ist das globale Vogelsterben ein schlechtes Omen?

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Weltweit nimmt der Bestand der Vögel rapide ab, hunderte Arten sind vom Aussterben bedroht. Uns Menschen sollte dies eine Warnung sein: Geht es der Vogelwelt nicht gut, bekommen später auch wir Probleme.

Im Kanton Waadt wurde dieses Jahr ein Rotmilan gefunden, der dem Tod nahe war.

Die Mitarbeiter des Centre ornithologique de réadaption (COR) in Genthod GE haben wortwörtlich um Leben und Tod gekämpft. Er lag am Boden und weckte bereits das Interesse der Katzen auf einem Campingplatz. «Als ich diesen schönen Vogel, der nicht mehr fliegen konnte, gesehen habe, habe ich ihm gut zugesprochen und ihn gestreichelt», berichtet die Finderin. Anschliessend habe sie ihn behutsam in einen Sack gesteckt.

Schliesslich konnte sie den komatösen und von Anfällen geplagten Vogel den Spezialisten im COR übergeben. Dort habe man in 40 Jahren Tätigkeit noch nie einen Rotmilan zu Gesicht bekommen, sagt Patrick Jacot, Verantwortlicher im COR.  Zuerst habe man an einen Zusammenstoss mit einem Fahrzeug oder einer Fensterscheibe geglaubt. Erst später kam man zum Schluss, dass das Tier an einer Vergiftung litt, verursacht durch Pestizide.

Der Rotmilan ist seit Jahrzehnten geschützt

Der Rotmilan wurde in der Schweiz bereits 1925 unter Schutz gestellt. Da er jedoch bis in die 50er Jahre weiterhin geschossen wurde, dauerte es lange, bis sich der Bestand zu erholen begann. Mittlerweile hat er sich wieder etwas ausgebreitet. Die rund 90 Brutpaare, die bei der ersten Zählung im Jahr 1969 erfasst wurden, haben sich mittlerweile auf rund 1500 Paare vermehrt. Doch in anderen Gebieten Europas ist der Bestand nach wie vor rückläufig.

In der Vogelstation habe man dem Rotmilan als erste Notmassnahme den Kropf ausgepumpt, eine Art Tasche in der Speiseröhre, in der die Nahrung gesammelt wird. «Der Kropf war voll, hatte den Durchmesser eines Tennisballs», sagt Emilie Bréthaut, Veterinärin im COR. Mit einer Sonde habe man schliesslich einen Einlauf gemacht – eine Massnahme, die viel Feingefühl verlange. Bréthaut brachte Dreck und Grünzeug ans Tageslicht, das stark nach chemischen Stoffen roch. «Wenn man so etwas sieht, macht man sich schon Gedanken über die Früchte und das Gemüse, das wir konsumieren», so die Tierärztin.

Nach dem notfallmässigen Eingriff wurde der Rotmilan an den Tropf gehängt. «Die Situation blieb sehr kritisch. Ich gab ihm weniger als 50 Prozent Überlebenschancen», sagt Bréthaut. Doch am nächsten Tag wirkte der Greifvogel bereits etwas fitter. Er begann auch selbstständig zu fressen, weigerte sich später aber plötzlich. «Der Rotmilan ist eine sehr stressempfindliche Art», sagt die Expertin. Deshalb habe man den ausgehungerten Greifvogel mit einer Pinzette zu füttern begonnen.

Es sind Geschichten wie diese, das sich derzeit in Europa und Nordamerika, ja, praktisch auf der gesamten Welt manifestiert: das Vogelsterben.

Die Populationen bestimmter Feldvögel sind in Europa zusammengeschrumpft, in Nordamerika verschwinden die Graslandvögel. In den Tropen, in Costa Rica und der Karibik sinken die Zahlen, auch in Skandinavien, in Australien, China, Patagonien, der Mittelmeerregion und in vielen anderen Regionen dieser Erde nehmen die Bestände ab.

Die Rote Liste gefährdeter Arten 2012 der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources listet 130 Vogelarten, die nach dem Jahre 1500 weltweit ausgestorben sind. Darüber hinaus gilt eine unbekannte Anzahl von Vogeltaxa als verschollen oder vermutlich ausgestorben, da sie entweder seit Jahrzehnten nicht mehr nachgewiesen wurden oder ihr Lebensraum so stark zerstört ist, dass ein weiteres Überleben unwahrscheinlich erscheint. Das Jahr 1500 gilt für die IUCN als Schlüsseljahr, da ab diesem Zeitpunkt die Entdeckung und Besiedelung der entlegensten Erdwinkel durch die Europäer eingeleitet wurde und sowohl die Menschen als auch faunenfremde Tierarten, wie Katzen und Ratten, ein Massenaussterben vieler Vogeltaxa verursachten. In der Wissenschaftszeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichte Berechnungen ergaben, dass heutzutage rund zwölf Prozent aller Vogelarten akut vom Aussterben bedroht und weitere zwölf Prozent gefährdet sind. Aufgrund der Datenlage gehen die Forscher davon aus, dass am Ende des 21. Jahrhunderts mindestens zehn Vogelspezies pro Jahr aussterben werden. In Europa ist in historischer Zeit lediglich eine Art ausgestorben, der Riesenalk.

Nach Schätzungen von Wissenschaftlern sind bisher etwa 500 Millionen Tierarten ausgestorben. Das sind über 99 Prozent aller Tierarten.

In dieser Liste werden in prähistorischer Zeit ausgestorbene Tiere (Dinosaurier, Mammut und Ähnliche) und Pflanzen nicht aufgenommen, sondern nur solche, die in historischer Zeit ausstarben und relativ prominent sind. Die meisten wurden direkt (Jagd) oder indirekt (Habitatvernichtung, Einfuhr oder Einschleppung fremder Arten) durch den Menschen ausgerottet.

Wissenschaftler suchen fieberhaft nach Lösungen

Vor allem diejenigen Arten, die früher sehr viele Individuen zählten, scheinen extrem unter Druck zu stehen, so die Erkenntnis der Vogelforscher. Die Ursachen kennen Ökologen und Ornithologen in vielen Fällen genau. Es muss etwas geschehen, denn das Vogelsterben ist auch für Menschen ein Problem. In einigen Regionen hat man bereits Lösungsansätze gefunden, schreibt die welt.de.

Henrique M. Pereira kann das bestätigen. Er hat mit einem Team internationaler Biodiversitätsforscher vor wenigen Wochen Ergebnisse einer Langzeitanalyse für die Bestände der Vögel Nordamerikas im Journal «Global Chance Biology» veröffentlicht. Die Forscher haben den Brutvogelbericht von Nordamerika für die Jahre 1971 bis 2010 und andere Quellen ausgewertet. 519 Vogelarten wurden genau analysiert. Es zeigte sich zweierlei: Zum einen, und das scheint zunächst positiv, bleibt die Zahl der Arten in vielen Regionen konstant. Zum anderen aber sinkt die Zahl der Individuen.

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Eine Erklärungdafür ist, dass immer mehr Brachen landwirtschaftlich genutzt werden, in den USA wie in Europa. «Die zunehmende Mechanisierung, die Etablierung grosser Monokulturen, die Zerstörung von Hecken und der Einsatz von Pestiziden sind schlecht für die Feldvögel», sagt Pereira, der Professor am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung und an der Universität Halle-Wittenberg ist. «Viele Feldvögel finden entweder keine Nistplätze mehr, oder ihre Nester werden zerstört.»

Vor allem Arten, die im Grasland und auf Feldern brüten, die offene Landschaften bevorzugen, hätten es schwer. Feldlerchen, Kiebitze und Rebhühner schaffen es kaum, ihre Brut grosszuziehen. Landmaschinen zerstören die Nester, Küken, die von den Vogeleltern mit viel Mühe gefüttert werden, kommen ums Leben.

Auch die Zahl der Insekten sinkt dramatisch

Die Zerstörung der Lebensräume ist ein wichtiger Grund dafür, dass es weniger Vögel gibt. Aber es sei nicht die einzige Ursache für das Schrumpfen der Bestände: Wenn Sie früher, in den 1970er-Jahren, mit dem Auto über Land gefahren sind, dann konnten Sie nach kurzer Zeit kaum noch etwas sehen, so verdreckt war ihre Frontscheibe. Ständig musste man putzen, Massen von Insekten klebten auf dem Glas.

In den vergangenen 15 Jahren hat die Zahl der Insekten dramatisch abgenommen, wie eine Studie aus Nordrhein-Westfalen belegt: Über 25 Jahre hinweg wurden an 87 Standorten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch bei Krefeld von Mai bis Oktober Zeltfallen aufgestellt, mit denen die Forscher Fluginsekten sammelten.

1989 gingen den Wissenschaftlern im Schnitt 1,6 Kilogramm Insekten in jede Falle. Im Jahr 2014 waren es nur noch 300 Gramm pro Falle. Um bis zu 80 Prozent hätte sich die Biomasse pro Falle reduziert, so die Forscher um Martin Sorg von der Krefelder Entomologischen Gesellschaft.

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Was im Krefelder Umland beobachtet wird, ist ein globaler Trend: Die Weltnaturschutzunion IUCN schätzt, dass weltweit ein Drittel aller Insektenpopulationen stark abnehmen. Fatal sei das für die Vögel. Sie finden einfach nicht mehr genug zu fressen, nicht für sich selbst und nicht für ihre Brut.

Vögel erkennen schnell, ob etwas mit der Umwelt nicht stimmt

Vögel spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem. Sie fressen Insekten, Aas und Müll und helfen bei der Verbreitung von Pflanzensamen. Darüber hinaus aber, so Berthold, leisten sie noch mehr: Wenn man sie beobachte, könne man sogar globale Veränderungen oder Gesundheitsgefahren für den Menschen frühzeitig erkennen. Sie seien Bioindikatoren, an ihnen könne man erkennen, ob etwas in der Umwelt nicht stimme.

Die Klimaerwärmung etwa bemerkten Experten am veränderten Verhalten der Vögel sehr früh. 1990, erinnert sich der Ornithologe Peter Berthold, habe er auf dem internationalen Ornithologenkongress in Neuseeland einen Vortrag vor internationalem Publikum gehalten – darüber, wie Klimaerwärmung die Vogelwelt verändern wird.

Zugvögel flögen später in den Süden los, flögen nicht mehr so weit und kämen früher wieder. Arten, die auf den Bergen oder in anderen kühlen Regionen lebten, kämen mit den warmen Temperaturen schwer zurecht. «Die eine Hälfte des Publikums hat gelacht und gesagt: ‹Mensch, der wird langsam senil und redet dummes Zeug.› Die andere Hälfte hat gesagt: ‹Wenn das stimmt, dann gnade uns Gott!'» Geht es den Vögeln schlecht, wird auch der Mensch eher früher als später Probleme bekommen.

In Schweden etwa fand man um 1970 kaum noch Turmfalken und Goldammern, zwei eigentlich häufige Arten. «Als immer öfter tote Goldammern gefunden wurden, rupften Forscher Federn», erklärt Berthold. Sie verglichen den Quecksilbergehalt der frisch gestorbenen Ammern mit dem in den Federn von Museumsexemplaren, die bis zu 100 Jahre alt waren. «Da lagen Welten dazwischen.»

Da sich Quecksilber in Fischen anreichert, wurde in Schweden die Ernährungsempfehlung überarbeitet. Häufiger als einmal pro Woche sollte man Fisch aus schwedischen Gewässern nicht essen. 2009 hat die schwedische Regierung sogar ein totales Quecksilberverbot ausgesprochen. Mittlerweile werden weniger quecksilberhaltige Biozide eingesetzt, die Lage bessert sich langsam.

Wie schädlich Pestizide wie DDT sein können, wurde ebenfalls aufgrund von Problemen in der Vogelwelt offenbar: «Die Weisskopfseeadler in Nordamerika hatten in den 1950er- und 60er-Jahren grosse Probleme. Die Schalen ihrer Eier waren zu dünn und hatten Risse. Die Embryonen starben, die Population verringerte sich drastisch. Und all das nur, weil die Vögel das Insektizid über Insekten, Fische und grössere Beutetiere aufnahmen», erzählt Berthold.

Das Gift landete nicht nur in den Beutetieren der Adler, sondern entsprechend auch in der Nahrungskette des Menschen. Ohne die Vögel hätte sich ein großer Teil der Menschheit bereits verabschieden müssen.

Regionale Aufforstung hilft den Vögeln

Umso wichtiger ist es, die vielen Veränderungen in der Vogelwelt genau zu überwachen. Durch den Temperaturanstieg müssen beispielsweise nicht mehr alle Zugvögel weit fliegen – sie finden im Winter auch im Norden noch genügend Nahrung.

Andere Arten können sich sogar ausbreiten, der Kuhreiher aus dem Mittelmeerraum oder entflogene Sittiche aus der Nahostregion fühlen sich in Freiburg, Stuttgart oder Düsseldorf wohl. So kommt es dazu, dass die Gesamtzahl der Arten in Deutschland sogar steigt, auch wenn die Populationen generell schrumpfen. Die Einwanderung neuer Arten kaschiert den eher negativen Trend.

Doch es gibt vereinzelt auch wirklich gute Nachrichten. «Insgesamt nimmt das Sterben in manchen Regionen nicht mehr weiter zu», sagt Henrique Pereira. «Bei manchen Waldvogelarten in Europa oder Nordamerika erholen sich die Populationen sogar.» Das liege an der regionalen Aufforstung. Gebe man den Tieren ihren Lebensraum zurück, vermehrten sie sich schnell wieder. Im Forscherjargong heisst das «Renaturierung gegen Defaunierung».

Diese relativ einfache Art des Vogelschutzes will auch Peter Berthold ausnutzen. Er hat vor zwölf Jahren zusammen mit der Heinz Sielmann Stiftung den Biotopverbund Bodensee ins Leben gerufen. Die Stiftung erwirbt von Städten und Gemeinden kleinere, ungenutzte Landstriche, renaturiert und schützt sie.

Die Zahl der Insekten nimmt nun zu, die Vögel finden wieder genügend Büsche und Sträucher für ihre Nester. Der Biotopverbund soll nun auf ganz Deutschland ausgeweitet werden «Zehn von 16 Bundesländern haben bereits Interesse bekundet», sagt Berthold. So soll Deutschland wieder insekten- und vogelfreundlich werden.

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1 Kommentar

  1. Rainer Hamann Antwort

    Das Vogelsterben hat schon vor mehr als 20 Jahren angefangen. Der Mensch ist der allein Schuldige. Wenn man mal genau beobachtet, fängt es vor der eigenen Haustür an. Wir versuchen naturnah unseren Garten zu halten. Unser Nachbar rennt mit der Giftspritze rum, er läßt sich nicht belehren, er hasst Vögel, weil sie kacken. Er hasst Blätter weil sie fallen. Die Bauern spritzen, so viel, daß kein «Unkraut» mehr wächst. Mit den Vögeln, z.B. gibt es bei uns keine Grünlinge mehr, sterben die Bienen, die Insekten, die Käfer, die Mäuse. Die Greifvögel werden immer weniger, genauso ist es mit den Schwalben. Der Mensch schafft dieses Ungleichgewicht und fühlt sich im Recht, Traurig aber wahr !

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