Kunterbunt

Insektensterben schlimmer als gedacht

Ein Drittel weniger Insektenarten in nur zehn Jahren: das zeigt eine Studie mit Beteiligung der WSL und Universität Bern. Betroffen ist vor allem intensiv genutztes Agrarland, aber auch Wälder und Schutzgebiete.
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Auf vielen Flächen tummeln sich heute etwa ein Drittel weniger Insektenarten als noch vor einem Jahrzehnt. Dies geht aus einer Untersuchung mit Beteiligung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und unter Koordination der Universität Bern hervor. Vom Artenschwund betroffen sind vor allem Wiesen, die sich in einer stark landwirtschaftlich genutzten Umgebung befinden – aber auch Wald- und Schutzgebiete.

Über eine Vielzahl verschiedener Untersuchungsflächen hinweg sank die Anzahl Insektenarten im Verlauf von nur zehn Jahren um etwas mehr als ein Drittel.

Erfasst wurden die Daten zwar in Deutschland, die gewählten Landschaften seien jedoch vergleichbar mit verschiedenen Regionen in der Schweiz.

Vor allem seltene Arten verschwinden  

Für ihre Studien sammelte das internationale Forschungsteam zwischen 2008 und 2017 über eine Million Insekten auf fast 300 Flächen in drei Regionen in Deutschland: Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg. Die gewählten Flächen reichten von sehr natürlichen bis zu land- oder forstwirtschaftlich stark genutzten Gründlandflächen und Wäldern.  

Viele der fast 2700 untersuchten Insektenarten sind demnach rückläufig. Vor allem seltene Arten verschwanden auf vielen Flächen komplett.  

Bisherige Studien hätten sich entweder ausschliesslich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen konzentriert, erklärte Sebastian Seibold von der Technischen Universität (TU) München gemäss der Mitteilung. «Dass tatsächlich ein Grossteil aller Insektengruppen betroffen ist, war bisher nicht klar.»  

Insektenarten, wie diese Kleine Goldschrecke (Euthystira brachyptera), sind in ihren Beständen deutlich zurückgegangen. Foto: Martin Fellendorf / Universität Ulm

Drastischer Verlust an Biomasse  

Auf Wiesen ging die Anzahl gefundener Arten im Studienzeitraum um 34 Prozent zurück. Aber nicht nur die Artenvielfalt, auch die Gesamtmenge an Insekten schrumpfte, und das dramatisch: Die Insekten-Biomasse verzeichnete während der zehn Jahre einen Verlust um zwei Drittel.  

Den stärksten Rückgang stellten die Forschenden dabei auf Flächen fest, die in stark landwirtschaftlich genutzter Umgebung lagen. Insbesondere schwanden Insektengruppen, die keine grossen Distanzen überwinden können. Das deutet auf einen Zusammenhang mit der Landwirtschaft hin, was bereits vermutet wurde. Allerdings lasse sich noch nicht beantworten, welche Rolle Lebensraumverlust, verstärkter Gebrauch von Pestizide oder die Verwendung potenterer Pestizide spielen.

Auch Wälder betroffen  

Ob und wie stark auch Wälder vom Insektenschwund betroffen sind, war bisher unklar. Auch hier stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Rückgang fest, und zwar schrumpfte die Insekten-Biomasse um 41 Prozent. Die Anzahl Arten ging um 36 Prozent zurück. Sowohl forstwirtschaftlich genutzte Nadelwälder als auch ungenutzte Wälder in Schutzgebieten haben der Studie zufolge an Insekten eingebüsst.

Anders als auf Wiesen gingen im Wald insbesondere Arten zurück, die weite Strecken zurücklegen. Hier ist ein möglicher Zusammenhang mit der Landwirtschaft allerdings noch unklar: «Ob mobilere Arten aus dem Wald während ihrer Ausbreitung stärker mit der Landwirtschaft in Kontakt kommen oder ob die Ursachen doch auch mit den Lebensbedingungen in den Wäldern zusammenhängen, müssen wir noch herausfinden», erklärte Studienautor Martin Gossner von der WSL.  

Riesendefizit an Daten in der Schweiz  

Für die Schweiz fehlt es bisher an Daten über den Insektenschwund. Das sei ein riesiges Defizit. Aber die Daten aus Deutschland lassen auch für die Insektenwelt der Schweiz nichts Gutes vermuten: Bei der Nutzung von Düngemitteln und Pestizide gebe es zwischen der EU und der Schweiz keine grossen Unterschiede.  

Um die Wissenslücken zu schliessen, habe er mit Kollegen einen Antrag beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) für einen Nationalen Forschungsschwerpunkt zu Ursachen und Folgen des Biodiversitätsverlusts in der Schweiz eingereicht, laut einem Forscher. Bei positivem Entscheid könnte eine umfassende Langzeitstudie frühestens nächstes Jahr starten und müsste dann einige Jahre laufen. «Aber besser spät als nie», so der Forscher.

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